The One Ring 2nd Edition

Die zweite Edition von The One Ring wird nicht mehr von Cubicle 7 veröffentlicht, sondern vom schwedischen Studio Free League Publishing, die in den letzten Jahren mit Spielen wie Tales from the Loop, Forbidden Lands und ALIEN von sich reden machten. Grund genug, mal einen Blick unter die Haube zu werfen. Da ich mich an der Kickstarter-Kampagne beteiligt habe, konnte die zweite Edition schon antesten. Als Fan der ersten Edition haben mich natürlich besonders die Unterschiede interessiert. Deshalb folgt ein schneller Absatz für alle, die The One Ring schon kennen. Die ausführliche Rezension kommt weiter unten.

The One Ring - Auenland

Von der ersten zur zweiten Edition

Ganz grundsätzlich würde ich sagen, dass Atmosphäre und Spielgefühl der ersten Edition übernommen wurden, was kein Wunder ist, da Francesco Nepitello weiterhin federführend designt hat. Zwar wurden viele Subsysteme verändert, teils um bekannten Problemen der ersten Edition entgegenzuwirken, teils um zu vereinheitlichen, aber die Umstellung fiel uns nicht schwer. Das Zusammenspiel von Hope und Shadow fühlte sich anders an. Beide Werte verändern sich schneller und mehr … was einigen Spieler*innen Sorgen bereitete. Im Endeffekt hielten sich diese Effekte aber in Grenzen.

Eine neue Kampagne würde ich wohl mit der zweiten Edition starten. Aber die bestehende umzustellen, ist mir aufgrund der ähnlichen Thematik zu viel Aufwand. Allerdings auch, weil wir durch die Pandemie viel online spielen, und die Umstellung händisches Editieren der Werte von vielen Charakteren, Feinden, Freunden und Monstern nötig machen würde.

The One Ring - Orks!

Wie bildet man Mittelerde ab?

Fast ist das die falsche Frage, denn The One Ring versucht weniger, die Welt zu simulieren, als vielmehr die Geschichten von J.R.R. Tolkien. Dabei wird das Leben der Charaktere in zwei große Phasen unterteilt: Einerseits die Adventuring Phase, in der es zumeist auf Reisen geht, und die Fellowship Phase, die dazu dient, die Charaktere in ihren Gemeinschaften zu erden. In der Adventuring Phase gibt es die drei großen Säulen Reisen – Kämpfe – Räte. Das ist nahe an der Struktur der Geschichten, die wir aus Mittelerde kennen.

Das System dabei ist eher abstrakt, kann aber in Bereichen fast schon Old School wirken. Im Kampf geht es nicht um genaue Entfernungen, sondern darum, wie aggressiv oder defensiv man kämpfen möchte. Bei Reisen hingegen wird gewürfelt, ob es zu Encountern kommt, quasi die gute alte Zufallsbegegnung. Der schwächste Teil ist die soziale Interaktion, die meiner Meinung nach Probleme hat, die vielfältigen Beziehungen zwischen einer Gruppe und den NPCs abzudecken.

Bei den Würfeln setzt The One Ring auf einen W12 plus eine Anzahl von W6ern, allerdings mit einem Twist: Alle Würfel haben neben den Zahlen noch andere Symbole. Der W12, hier Feat Die genannt, wird immer gewürfelt. Allerdings hat er nur die Zahlen 1 bis 10, dazu noch das Auge von Sauron, was als 0 gewertet wird, sowie die Gandalf Rune, die ein automatischer Erfolg ist. Die W6er haben neben der 6 eine Tengwar Rune, die höhere Erfolgsgrade anzeigt. Dazu sind die Zahlen 1 bis 3 nur als Umriss auf den Würfeln, denn wenn ein Charakter erschöpft ist, zählen sie nicht.

Es gibt also nicht nur ein binäres Erfolg-Misserfolg-System, sondern auch besondere Erfolge, teilweise schlimme Misserfolge, und dank begrenzten Ressourcen wie Hope für manche Charaktere auch magische Erfolge. So können Elben über Schnee laufen, oder an einem Mûmakil  hochklettern. Dieses Würfelsystem bleibt dabei recht einfach, bietet aber mehr narrative Möglichkeiten und ist gut mit den verschiedenen Systemen verzahnt. Dabei wird der W12 plus eine Anzahl von W6ern basierend auf den Werten gegen eine durch die eigenen Attribute festgesetzte Schwierigkeit gewürfelt. Modifikationen geben entweder Bonuswürfel oder ziehen Würfel ab.

Generell sitzt das System ein wenig zwischen narrativ und simulationistisch – wenn man akzeptiert, dass eine Erzählung simuliert werden soll.. Erhalten Charaktere besondere Ausrüstung, wie zum Beispiel Waffen oder Rüstungen vergangener Zeitalter, dann sind diese unzerstörbar und nicht übertragbar – das Schicksal hat sie ihnen zugeteilt und niemand sonst. Es müssen keine Pfeile oder Rationen abgestrichen werden. Hope, also Hoffnung, ist hingegen eine Ressource, die man ausgibt, um im Notfall Bonuswürfel zu erhalten.

The One Ring - Kampf

Eriador Ende des Dritten Zeitalters

Das Setting hat sich im Vergleich zur ersten Edition auch verschoben: Die Kampagne beginnt circa zwanzig Jahre später in Eriador und ist nicht mehr auf Rhovanion fokussiert. Das bietet natürlich andere Optionen, denn zum Einen ist das Auenland sicher besser bekannt als Dale, gleichzeitig hat Tolkien Eriador jenseits der Geschichten wenig ausgearbeitet. Es gibt die alten Zeugnisse des untergegangenen Reiches Arnor und seiner Nachfolgekönigreiche Arthedain, Cardolan und Rhudaur. Da ist Imladris, das Haus des Herrn Elrond, sowie die Grauen Anfurten an der Küste. In den Blauen Bergen leben Zwerge. Dazu kommen die Schrecken aus Angmar, Trolle aus dem Trollhöhen, Orks aus Berg Gram und so weiter. Eine große Fläche, auf der man die eigenen Geschichten zeichnen kann.

In so bekannten Welten wie Mittelerde zu spielen, bringt natürlich ganz eigene Probleme mit sich. Meiner Erfahrung nach ist es am Sinnvollsten, sich die Welten zu eigen zu machen. Ja, Tolkien schreibt, um das Auenland und um Bree herum gibt es viele Meilen weit keine Zivilisation – aber das ist für reisende Held*innen natürlich weniger spannend. Also deutet man die Aussage vielleicht so, dass es keine Reiche gibt, wohl aber Siedlungen. Und so kann man eine eigene Version von Mittelerde erschaffen, in der die Charaktere auch wahrhaft Held*innen sein können.

The One Ring - Düstere Gestalten

Die Bücher

Bislang besitze ich nur die digitalen Ausgaben, da die gedruckten Exemplare aufgrund der allgemeinen Transportprobleme recht lange benötigen. Aber generell bleibt der hohe Standard der ersten Edition erhalten, die Bücher sehen wunderschön aus und sind modern gesetzt und gegliedert. Tatsächlich war das Lesen und Verstehen der Regeln einfacher als zu Beginn der ersten Edition, die damals noch in einem schönen, aber unpraktischen Schuber kam. Die letzte Ausgabe der ersten Edition war allerdings auch schon deutlich besser organisiert, und das setzt sich bei der zweiten Edition fort.

Die Richtung der Kunst in den Büchern hat sich auch verschoben, ein wenig weg vom durchaus passenden leicht naiven Stil der ersten Edition, hin zu düsterer wirkenden Szenerien – siehe das Artwork von Martin Grip in diesem Artikel. Auch das passt, da Tolkien in seinen Geschichten mehr als eine Stimmung wiedergibt.

TheOne Ring - Reisen

Fazit

Eine klare Empfehlung meinerseits, vor allem, wenn ihr die erste Edition nicht besitzt. Ich habe eigentlich alle Regelwerke zu Mittelerde gespielt, und The One Ring trifft für mich diesen flüchtigen Punkt aus Freude und Authentizität am besten. Die Regeln sind klar auf Tolkiens Geschichten zugeschnitten und unterstützen diese Art von Rollenspiel. Dazu sehen die Bücher auch einfach gut aus. Free League hat die hohen Erwartungen nicht enttäuscht.

 

 

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