Buch 1: Schicksal
Episode 1: Das Erdbeben
Die Erde bebt! Sie bockt, als wolle sie alle Lebewesen von ihrem Rücken werfen! Stöhnt wie ein waidwundes Tier. Die Erde bebt!
Mit einer Behändigkeit, die seine weißen Haare und den langen Bart nicht vermuten lassen, springt Meister Zhao auf. Seine Füße stemmen sich gegen den zitternden Boden, seine ganze Haltung scheint die Beständigkeit der Felsen in sich aufzunehmen. Seine Arme stoßen in genauen, abgezirkelten, unendlich oft geübten Bewegungen nach vorne – und das Beben erlischt!
Staub rieselt aus dem gequälten Gebälk des Klosters. Innen herrscht angespannte Ruhe, doch von außen dringen Schreie an ihre Ohren. Der Meister dreht sich um. Die Anstrengung, die furchtbare Macht der Erde in Schach zu halten, gräbt tiefe Linien in sein Antlitz.
»Geht! Helft dem Dorf! Ich schütze das Kloster!«
Die vier jungen Bändiger*innen sehen sich überrascht an. Was sollen sie gegen diese Naturgewalten ausrichten? Doch in der tiefen Stimme des Meisters liegt ein Befehlston, dem sie sich nicht widersetzen können. Der Erdweise ist weithin gerühmt, sein Ansehen groß, seine Autorität steht außer Frage.
Und so laufen die vier hinaus aus dem gesicherten Kloster, um die Menschen der Kleinen Schildkröteninsel vor dem Chaos des Erdbeben zu schützen. Allen voran Zaya, die Luftnomadin, die sich auf ihren Gleiterstab schwingt. Dahinter Shi aus dem Erdkönigreich und Tikaani von den Wasserstämmen. Zum Schluss kommt Rizu aus der Feuernation, der sich erst einmal einen Überblick über die Lage verschafft.
v.l.n.r. Tikaani, Shi, Zaya, Rizu © Luuzy
Einige Wochen zuvor
Verstreut in den vier Ecken der Welt, werden Tikaani, Shi, Zaya und Rizu von Boten des Erdweisen Zhao gefunden. Mit sich führen sie handgeschriebene Einladungen, die sie höflichst darum bitten, sich im Haus des Meisters auf der Kleinen Schildkröten einzufinden. Dazu gibt es eine großzügige Summe, um ihnen die Anreise zu ermöglichen.
Vier junge Bändiger*innen, eine*r von jedem Element, die sich jedoch noch keinen Namen gemacht haben. Ja, es ist bei einigen nicht einmal bekannt, dass sie über die Fähigkeiten der Elementarbändigung verfügen. Woher weiß der Erdweise von ihnen und ihren noch verborgenen Talenten? Mit dieser und vielen weiteren Fragen im Kopf kreisend machen sie sich unabhängig voneinander auf die lange Reise zur Kleinen Schildkröteninsel.
Die Erde bebt
Direkt voraus neigt sich ein altes Bauernhaus gefährlich zur Seite. Eine kleine Familie kommt hustend und keuchend herausgerannt, ihre Augen schreckensgeweitet.
»Mein Mädchen!«
Ohne zu zögern springt Zaya von ihrem Gleiter und stürmt in das knirschende Haus. Hinter ihr sieht Shi, dass das Gebäude niemals halten wird. Sie gräbt ihre Füße in die aufgewühlte Erde und hebt die Arme. So eine Stärke hat sie noch nie angesammelt, die ganze Insel scheint sich gegen sie zu stemmen. Dabei spürt sie, dass in den Schlägen der Erde noch etwas mitschwingt, doch sie kann nicht ganz erkennen, was es sein könnte.
Unterdessen rennt Rizu weiter, und beginnt mit lauten Rufen und Befehlen die Bewohner des Dorfes in der Sicherheit ihres Marktplatzes zu sammeln. Dort, beim reich verzierten Geisterpfahl, droht ihnen kaum Gefahr.
Doch Tikaani sieht, dass oben am kleinen Flüsschen der Damm der Wassermühle zu bersten droht! Die anderen sind überall verteilt, also sprintet sie dorthin. Zweifel nagen an ihrem Geist: Können ihre schwachen Wasserbändigerfertigkeiten diese Gewalt kontrollieren? Doch es ist keine Zeit, also nimmt sie beginnt sie mit den Formen, die ihr beigebracht wurden – doch es ist, als ob die Natur selbst gegen sie arbeiten würde!
Im Haus hört Zaya ein Wimmern und sieht durch die staubige Luft ein kleines Mädchen, das sich unter einen Tisch kauert. Sofort sprint sie vor, beruhigt die Kleine und nimmt sie auf den Arm. Das Beben unter dem Haus ist abgeklungen, und draußen verzerrt sich Shis Gesicht vor Anstrengung. Als Zaya mit dem Mädchen herausrennt, entlässt Shi erleichtert die Erde aus ihrer Kontrolle, und das Haus stürzt krachend in sich zusammen!
Am Tag zuvor
Als die vier jungen Bändiger*innen auf der Kleinen Schildkröteninsel ankommen, werden sie von Meister Zhao nach allen Regeln der Höflichkeit begrüßt. Er lässt ihnen von Tantchen ihre Zimmer zeigen, und sie sind beeindruckt (oder verwirrt) vom Reichtum, den das Kloster zur Schau stellt. Doch ist es ein Kloster? Eigentlich scheint hier nur der Erdweise mit mehr als einem Dutzend Diener*innen zu leben.
Bei der Erkundung ihres Domizils treffen sich Tikaani und Rizu, und da beide ihre Waffen dabei haben – Speer und Schwert -, verabreden sie sich zu einem Übungskampf im Garten. Tikaani stürmt wild auf Rizu ein, erwartend, dass der Feuerbändiger ebenso antwortet. Doch der empfängt ihre Attacken, lenkt sie ab – und landet einen Gegenschlag! Verwirrt blickt Tikaani ihn an, denn seine Art zu kämpfen erinnert sie beinahe an Erdbändiger.
Bevor sie etwas sagen kann, springt Zaya aus dem Fenster zwischen sie beide und hebt ihren Stab. Sie hat die Situation missverstanden und glaubt, einen echten Kampf zu unterbinden! Als die anderen sie aufklären, wird sie rot und bittet um Entschuldigung. Doch alle lachen, sogar Shi, die zu ihnen gestoßen ist, auch wenn die Erdbändigerin sonst eher kühl und zurückhaltend ist.
Beim Abendessen brennen ihnen Fragen auf den Zungen, doch Meister Zhao spricht von allerlei Dingen, nur nicht vom Grund für die Einladungen. Irgendwann kann Rizu nicht mehr an sich halten – Etikette hin oder her! – und fragt direkt nach. Meister Zhao erklärt, dass er sie eingeladen hat, damit sie an einem kleinen Turnier teilnehmen können. Das wirft mehr Fragen auf, als es beantwortet, doch viel mehr erklärt er ihnen nicht.
Stattdessen verbringen sie den Abend im Dorf, und lernen sich so besser kennen. Die Kleine Schildkröteninsel liegt nahe einiger viel befahrener Handelsrouten und ist ein oft genutzter Ort, um Frischwasser und Proviant aufzunehmen, was ihr einen bescheidenen Wohlstand ermöglicht. Die Menschen sind Besuch gewöhnt, aber vier Bändiger*innen der Elemente sind auch für sie besonders, und so entsteht beinahe ein kleines Willkommensfest.
Während Zaya Wasser trinkt, und Rizu und Tikaani sich Reiswein können, isst Shi Rüben. Und obwohl sie eher abweisend ist, und ihre wenigen Worte meist sarkastisch klingen, gibt sie Zaya ein wenig von ihrer Rübe ab. Zaya und Tikaani fällt auf, dass das Wasser von geradezu erlesener Qualität ist, so rein und erfrischend wie sie es noch nie gekostet haben.
Nach diesem Abend mit Musik, Gesang und Tanz, kehren sie erfreut zurück in ihre Gemächer und schlafen friedlich ein, denn diese Insel ist schöner, ein sicherer Ort …
Wassermassen
Die Erde bebt. Die gesamte Insel schüttelt sich. Holz knirscht und birst, Stein zerbricht zu Staub. Die Erde bebt!
Mittlerweile hat Rizu die meisten Dorfbewohner versammelt, und Shi geht, ihm zu helfen. Doch Zaya entdeckt einen Kohlhändler, der verzweifelt versucht, einen Wagen mit seiner Ware aus der Gefahrenzone zu zerren. Doch sie erkennt, dass dafür keine Zeit ist, packt ihn und zieht ihn weg. Keinen Moment zu früh, denn herabstürzende Trümmer zerschmettern den Wagen und wirbeln Kohlblätter in die Luft!
»Meine Kohlköpfe!«
Doch die drei haben Tikaani aus den Augen verloren, die sich immer noch verbissen gegen die Fluten stemmt. Erst ihre Rufe machen sie auf die Bedrohung aufmerksam. So schnell sie können rasen sie zu ihr und sehen, dass trotz ihrer heroischen Anstrengung die Risse im Damm zu groß sind.
Shi wirbelt herum, und Erde klatscht gegen den Damm, um ihn zu verstärken. Doch die Erde um den Fluss ist nass und durchweicht, kaum mehr als Schlamm. Rizu bittet die anderen, zurückzutreten, dann sendet er Feuer gegen den Schlamm, bis dieser zu glänzendem Ton wird!
Erleichtert entlässt Tikaani das Wasser aus ihrer Macht, und als es gegen den Damm schwappt, hält dieser. Das Dorf ist gerettet!
Mysterien
Als sie sicher sind, dass alle Dörfler versorgt sind, kehren die vier zurück zum Kloster, wo Tantchen die Dienerschaft anleitet, um die schlimmsten Schäden auszubessern. Sie fragen bei Meister Zhao nach, was das Beben ausgelöst haben könnte, aber er sagt beruhigend, dass die Kleine Schildkröteninsel manchmal von derartigen Beben betroffen ist. Als sie mehr nachfragen, weist er sie mit dem Hinweis ab, dass es jetzt dringlicheres als ihre Wissbegier gäbe.
Die Situation kommt ihnen immer noch reichlich seltsam vor. Da sie im Kloster nicht viel erreichen können, kehren sie ins Dort zurück, um sich dort umzusehen und -zuhören. Doch dabei fällt ihnen auf, dass der Fluss, bislang rein und klar, nun verschmutzt und finster ist. Es scheint oben von der Quelle auf dem Hügel der Insel zu kommen, also machen sie sich auf den Weg, um dort nachzuforschen.
Alle stapfen den schmalen Pfad hoch, bis auf Zaya, die auf ihrem Gleiterstab durch die Lüfte schwebt. Als sie schon mehrere Stunden unterwegs sind, entdeckt Zaya am Horizont ein dunkles Segel auf dem Meer. Sie holt Tikaani mit einem festen Griff um die Hüften (der ihr zu gefallen scheint) auf den Gleiter, und die Wasserbändigerin bestätigt ihre Befürchtungen: Das ist ein Piratenschiff!
Rote Haie
Schnell informieren sie die anderen und beschließen, nach unten zurückzukehren und das Dorf zu warnen. Zaya gleitet, Shi nutzt die Kraft der Erde, um sich in großen Sprüngen hinabzubewegen, und Tikaani will schon auf dem Wasser des Flusses nach unten rasen, als sie sieht, dass Rizu etwas verloren da steht. Also packt sie ihn und nimmt ihn mit auf ihrem wildem Ritt den Fluss hinab.
They see me surfin‘, they hatin‘ © Kuka
Unten im Kloster nimmt Meister Zhao die schrecklichen Neuigkeiten sehr gefasst auf und bittet sie, die Piraten aufzuhalten, während er die Dorfbewohner ins Kloster holt. Auch wenn sie nicht sicher sind, wie sie eine ganze Piratenbande aufhalten sollen, stimmen sie zu und rennen zum Strand.
Das Dorf liegt an einer wunderschönen Bucht, die einen sicheren Naturhafen bildet. Inzwischen hat sich die Dunkelheit der Nacht herabgesenkt. Vom Kloster her ist der Schlag eines Gongs zu hören, der die Dörfler dorthin ruft.
Zaya schwingt sich auf ihren Gleiterstab und sieht, wie das Piratenschiff mit gerefften Segeln leise in den Hafen einfährt, getrieben vom Wasser der Mo Ce See selbst. An Bord muss sich jemand befinden, der oder die des Wasserbändigens mächtig ist!
Schnell formulieren die vier einen Plan, um die Piraten am Strand gebührend zu empfangen. Auch als Zaya berichtet, dass es drei oder gar vier dutzend sind, weichen sie nicht zurück. Die Bewohner der Kleinen Schildkröteninsel verlassen sich auf sie!
Dann kommen mehrere Boote leise auf den Strand zu. Als sie nur noch wenige Schritt entfernt sind, ertönt ein lauter Ruf:
»Rote Haie! Angriff!«
Dutzende von Kehlen fallen ein, brüllen wieder und wieder »Rote Haie! Rote Haie!«
Die Schlacht um die Kleine Schildkröteninsel hat begonnen!
v.l.n.r. Zaya, Shi, Rizu, Tikaani, oben Franigo © Turmkrähe
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